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Blind - und Gott?

Tuch vor Augen
Datum:
Veröffentlicht: 14.6.22
Von:
Claudia Ramer

Impuls nach dem Sehbehindertensonntag

Der Text stammt von Claudia Ramer. 1997 verlor sie mit 30 Jahren das Augenlicht. Ein beeindruckendes Glaubenszeugnis. Vergelt's Gott fürs Veröffentlichendürfen!

Ich bin blind. So richtig ganz, ohne Lichtwahrnehmung und das schon seit über 20 Jahren. Was heißt es also für mich, den Herrn zu sehen? Bleibt er mir verborgen, weil meine physischen Augen nicht mehr funktionieren? Aber wen oder was sollen die Augen denn sehen?

Wenn ich nicht sehen kann, wie ist's mit Gott?

Manchmal frage ich Kinder bei meinen Vorträgen in Schulen: „Wie stellt ihr euch Gott vor?“, dann bekomme ich oft zur Antwort: Gott ist für mich ein alter, allmächtiger Mann, der da oben im Himmel sitzt und Sünden bestraft“. Wenn ich dann frage: „Aber Gott ist doch Liebe, warum sollte er denn bestrafen?“, dann bekomme ich nur ein Schulterzucken.

Da kommt so eine leise Kinderstimme: „Man kann ihn halt nicht sehen, wie soll man da an ihn glauben?“. Ja, das ist so eine Sache mit dem Glauben. Wir sind es von klein auf gewohnt, nur das zu glauben, was wir mit eigenen Augen sehen. Was wir nicht mit unserem Sehsinn erfassen und mit dem Verstand entsprechend verarbeiten können, scheint nicht zu existieren. Wie heißt es in dem Lied „Der Mond ist aufgegangen“: „Seht ihr den Mond da stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind denn manche Sachen, die wir getrost verlachen, weil unsre Augen sie nicht sehn‘“. Außerdem ist Gott unmodern, über Gott redet man nicht, das ist ja peinlich! Beten? Nur in dringenden Notfällen („Lass meine Eltern mir dieses Handy kaufen!“, „Lass meine Schulaufgabe nicht so schlecht ausfallen!“ …). Kann ja nicht schaden, auch wenn man nicht daran glaubt. Anscheinend wird Gott von uns Erwachsenen immer nur als alter Mann weit weg im Himmel vermittelt, vor dem wir armen Sünder auf Knien robbend wie vor einem gnadenlosen König hinschleichen müssen. Da will man Gott doch gar nicht begegnen …

Ich sehe mit dem Herzen

Aber Jesus hat uns ein anderes Bild an die Hand gegeben und ins Herz gelegt: Wir begegnen Gott in jedem Augenblick unseres Lebens! Jesus hat uns vorgelebt, wer wir wirklich sind. Er hat Gott in allem gesehen, was ist – und vor allem hat er ihn auch in sich selbst erkannt. Gott ist nicht ‚er’ oder ‚sie’ oder ‚es’ – Gott ist das ‚und’. Wiligis Jäger hat das so ausgedrückt: „Gott ist das Lied, wir sind die Noten“.

Ich sehe Gott – wie wahrscheinlich alle Menschen – zwar nicht mit meinen physischen Augen. Doch ich fühle ihn, in allem, was ist. In jedem Menschen, dem ich begegne. In jedem Tier, Stein, Windhauch… Und vor allem in mir selbst. Dann komme ich mir so geborgen vor. Nie mehr allein, immer jemand, der/die alles mit mir teilt, geliebt, behütet, angenommen. Wer in dieser Liebe lebt, kennt keine Angst! Und ich vertraue darauf, dass Gott immer da ist, um meine Füße aus dem Netz der Ohnmacht, der Sorge und der Mutlosigkeit zu ziehen. Jeden Tag neu, immer wieder und immer mehr!

Hintergrund:

Wir feierten am Sonntag, 12.05., in Breitengüßbach den Sehbehindertensonntag. Mit dabei war Caudia Ramer, die Ansprechpartnerin für den Stadt- und Landkreis Bamberg. Sie hat 1997, im Alter von 30 Jahren, das Augenlicht. Mit dabei wir ihr Blindenführhund Kando. Im Anschluss an den Gottesdienst sandte sie obenstehenden Text. Er bezieht sich auf den Psalm „Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn er wird meine Füße aus dem Netz ziehen.“ (Ps 25,15). Der Psalm 25 ist unter diesem Link (hier klicken) zu lesen.