Danke, dass Sie hier sind!

Evangelium nach Lukas (Lk 18)
Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Gleichnis: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Predigt
„Danke, dass Sie diesen Gottesdienst heute mitgefeiert haben!“
Das sagen manchmal Pfarrer am Ende eines Gottesdienstes. Sie müssen jetzt ganz stark sein: wenn ich nicht eine ganz schwache Stunde erwische, werden Sie das von mir so nicht hören. Ich werde mich bei Ihnen nicht bedanken, dass sie Gottesdienste mitfeiern. Warum sollte ich auch? Weil man heute als Pfarrer dankbar sein sollte, wenn überhaupt noch Menschen zu den Gottesdiensten kommen? Für mich selber löst dieser Satz „Ich danke Ihnen, dass sie heute hier sind!“ wirklich schlimme Gefühle aus. Allen voran die Befürchtung, dass manche aus Mitleid mir gegenüber in den Gottesdienst kommen.
Bevor Sie jetzt sagen, ja wenn das so ist und aufstehen und gehen: natürlich freue ich mich, dass Sie da sind. Aber der Begriff der Dankbarkeit ist für mich hier nicht der richtige. Ein Danke ist zwar schnell ausgesprochen, aber die Geschichte vom Pharisäer und vom Zöllner, die Jesus erzählt, zeigt uns, Dankbarkeit ist nicht gleich Dankbarkeit. Der Pharisäer spricht sein Gebet und er dankt Gott. Aber nicht für sein Leben, für irgendetwas Gutes, das ihn andere haben erfahren lassen. Er dankt zwar vordergründig dafür, dass er ein ordentliches Leben führt. Allerdings ist es ein fauler Dank, denn einmal grenzt er sich von anderen ab und sagt, Gott sei Dank bin ich nicht so wie die. Zum anderen hat er eigentlich gar keinen Grund zum Danken, denn alles, was er ist und hat und macht, schreibt er sich ja selber zu. Er erzählt im Gebet davon, wie ordentlich er lebt, was er tut, was er Gutes macht. Er klopft sich selbst auf die Schulter. Auch wenn er das Wort Danke sagt, es bleibt leer. Der Zöllner dagegen ist ganz anders. Er, der die Leute um ihr Geld betrogen hat, macht sich im Gebet vor Gott nicht besser als er ist, er sucht nicht nach Ausreden oder Entschuldigungen, sondern er bringt sich ehrlich so vor Gott, wie er ist, mit seinen Fehlern, Ecken und Kanten. Er muss sich vor Gott nicht als der Starke darstellen, weil er weiß, das macht eh keinen Sinn. Gott weiß doch, wie ich bin. Die Dankbarkeit des Pharisäers besteht vor allem darin, dass Gott genau um seine Schwächen weiß und trotzdem darf er zu ihm kommen. Wie es in einem wunderschönen, neuen Lied heißt: „ich danke dir, dass du mich kennst und trotzdem liebst.“
Ja, wir danken Gott für die Ernte dieses Jahres. Wir denken daran, wem wir überhaupt unser Leben verdanken. Und, dass Dankbarkeit nicht gleich Dankbarkeit ist. Es gibt falsche oder zumindest merkwürdige Formen der Dankbarkeit. Dazu gehört sicherlich, sich für etwas zu bedanken, obwohl man der Überzeugung ist, man hat es selber gemacht. Wenn das Danke zur Floskel wird, damit man sich selbst irgendwie besser fühlt. Oder wenn man die Dankbarkeit gar nicht wirklich empfinden kann, weil es einem unangenehm ist, jemand anderem dankbar zu sein und man will ja schließlich nichts schuldig bleiben. Einer der schwierigsten Formen von Dankbarkeit ist für mich persönlich die verordnete Dankbarkeit. Die Vorstellung, alles, was man mir in meinem Leben widerfährt, ist sofort ein Grund, Gott gegenüber oder überhaupt, dankbar zu sein. Weil, selbst wenn es schlimm ist, was da mit mir geschieht, irgendwann werde ich schon erkennen, dass ich am Ende dafür dankbar sein kann. Mit so einer Vorstellung tue ich mir schwer, sehr schwer sogar. Freilich gibt es Situationen im Leben, die schlimm und schwierig sind und von denen ich am Ende sagen kann: das hat mich reifer, stärker gemacht oder auf Wege geführt, die ich sonst nie gegangen wäre. Aber das kann doch nicht von außen verordnet werden. Das muss dann irgendwann, vielleicht weit im Rückblick, aus mir selbst kommen. Es braucht Zeit, in mir zu wachsen. Es gibt Erfahrungen in meinem Leben, da kann ich nicht von jetzt auf gleich sagen, dafür bin ich dankbar. Und ich bin der Überzeugung, vor Gott brauche ich das auch nicht zu sagen. Da darf ich einfach auch benennen, wenn ich Dinge in meinem Leben nicht verstehe, nicht annehmen kann und will. Und es gibt diese Erfahrungen im Leben, die einfach nur schlimm sind, die keinen Sinn machen und für die ich nicht dankbar sein kann. Das ist doch ehrlich. Und wenn das Evangelium eines zeigt, vor dem, den wir Gott nennen, dürfen wir ehrlich sein.
Die einzig aufrichtige Form der Dankbarkeit ist die, die sich mit dem Kopf nicht machen lässt. Sondern die aus dem tiefstem Herzen kommt und nur gefühlt werden kann. Aufrichtig und ehrlich ist unsere Dankbarkeit dort, wo ich mich nicht nur vor Gott, sondern auch vor anderen als der Mensch zeigen darf, der ich bin, ohne mich auch nur irgendwie besser machen zu müssen. Wo ich mich nicht verstellen brauchen, wo ich mich angenommen und verstanden erfahre, mit allem, was mich ausmacht: dort werde ich nicht Danke sagen, sondern fühlen. So einen Gott und solche Menschen, die wünsche ich uns allen. Amen.