Eine Kirche, die es sich nicht bequem macht

Predigt von Pfarrer Markus Schürrer zum Kirchweihfest 2023
„Mach es dir bequem!“ Je nachdem, in welchem Zusammenhang man diese Worte hört, lösen sie unterschiedliche Gefühle in einem selber aus. „Mach es dir bequem!“ bei einem netten Abendessen – super! „Machen Sie es sich bequem!“ in der Arztpraxis – naja! Wer genießt es nicht, es sich nach einem langen Tag bequem zu machen und abzuschalten.
Innerliche Bequemlichkeit ist dagegen nicht immer etwas Gutes. Ich erlebe im Blick auf die Bequemlichkeit zwei unterschiedliche Extreme. Da gibt es diejenigen, die es sich bequem machen mit Meinungen, Haltungen und Parolen; Menschen, die es sich leicht machen und für die es nur schwarz oder weiß gibt und nichts dazwischen. Und dann gibt es die Menschen, die es sich eben so gar nicht bequem machen, die immer schon den nächsten oder übernächsten Schritt vorausplanen, die immer die anderen im Blick haben und dass es ihnen gut geht und die sich selber das Leben nicht leicht machen.
Auch im Evangelium erleben wir eine Art von Bequemlichkeit. Jesus erzählt seinen Jüngern, dass er leiden, sterben und auferstehen wird. Und der Jünger Petrus will das nicht wahrhaben, er sagt, dass das doch nicht sein kann und darf. Es muss für Jesus doch einen anderen Weg geben, er ist ja schließlich der Sohn Gottes. Es muss doch einen anderen Weg geben, um den Menschen zu zeigen, dass es für sie ein Leben nach dem Tod geben wird. Jesus geht Petrus darauf scharf an, denn er wird und er will genau diesen Weg gehen. Natürlich hätte Gott einen anderen Weg gehen können. Er ist schließlich Gott. Der kann das. Er ist aber genau diesen Weg gegangen, um so für uns Menschen näher in unserem Leiden zu sein. Gott spricht nicht nur vom Himmel herab, er geht den Weg durch das Leid mit den Menschen. Wir kennen das von Menschen, die wir respektieren und denen wir vertrauen? Warum? Nicht, weil sie in der Theorie so nett daherreden können. Sondern weil sie manche Dinge selber durchgestanden und durchlebt haben und so besser verstehen können, was wir durchmachen. Wenn Jesus also Petrus jetzt so scharf angeht „Tritt hinter mich, du Satan!“, dann hören wir das vor dem Hintergrund der Worte, die er zu Petrus einige Bibelverse davor gesprochen hat: „Du bist Petrus, der Fels und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche aufbauen!“ Jesus möchte es sich nicht leicht machen, das Kreuz umgehen. Er möchte keinen bequemen Petrus und keine bequeme Kirche.
In den vergangenen Jahren habe ich mir viel Gedanken um unsere Kirche gemacht. Ich habe Vieles, was mir da schwerfällt, versucht, ins Gebet zu bringen. Auf manches habe ich Antworten bekommen. Bei vielen Fragen habe ich Schweigen aushalten müssen. So wie das Leben halt so oft ist. Vielleicht war oder ist es ja auch eine Art männliche Midlifecrisis, ich weiß es nicht. Sicher werde ich auf die Gedanken und Fragen, die ich gleich mit Ihnen teile, von manchen auch Widerspruch ernten. Vor allem von denen, die sagen, die Menschen müssten nur wieder richtig glauben, sich an Lehrsätze und Glaubensüberzeugungen halten, alte Formen der Liturgie wieder entdecken und der Kirche würde es wieder besser gehen. Ein genauso beliebtes und bequemes Argument ist es, allen, die Reformen in der Kirche wollen, zu unterstellen, sie wollten eine Mainstream-Kirche, eine Kirche, die es sich leicht und bequem macht, zu sehr auf die Menschen achtet und ihnen nach dem Mund redet. Das nächste Argument ist dann ja oft gleich, wer das nicht möchte, soll halt austreten und evangelisch werden. Ist das die Lösung? Leute vor die Tür zu setzen, die nicht auf Kurs sind? Ist das Kirche? Beantworten Sie diese Frage für sich.
Ich bin der Überzeugung, dass es genau umgekehrt ist. Bequem macht es sich die Kirche nicht, indem sie auf die Menschen hört, ihre Sorgen und Fragen beachtet. Indem sie überlegt, wie wir heute Menschen die frohe Botschaft für ihr Leben zusprechen, wo so viele Menschen auf der Suche sind nach dem, was dem eigenen Leben Halt gibt. Bequem machen wir es uns als Kirche dann, wenn wir für genau diese Menschen, die zu uns kommen, nichts weiter im Angebot haben als fertige Lehrsätze, Regeln und Antworten, die in einer Sprache formuliert sind, die man nur noch schwer verstehen kann. Ich kenne all die theologischen Antworten auf die Fragen, warum Kirche so ist, redet und handelt, wie sie ist. Ich habe sie alle gelernt und größtenteils verinnerlicht. In der Theorie ist alles leicht gesagt. Dann sitzt aber ein Mensch vor mir in seiner Not, in Tränen aufgelöst oder von Ängsten und Sorgen getrieben und erzählt mir von seinem Leben. Und dann ist alles mit einem Mal ganz anders. Das Leben verläuft eben nicht unter Laborbedingungen. Leben geschieht so, wie es eben geschieht. Leben lässt sich nicht berechnen. Es ist so vielfältig. Und so viel man auch plant, wie oft ist es am Ende anders gekommen und man muss damit umgehen lernen.
Wenn es sich Kirche nicht bequem machen will, dann ist sie genauso herausgefordert, damit umzugehen. Auf die kleinen und großen Fragen im Leben der Menschen Antworten zu finden. Keine theoretischen Antworten, sondern welche, mit denen sie es schaffen können, mit Gottes Zusage ihr Leben, wie es ist, von Tag zu Tag zu bestehen. Die Fragen, sie liegen auf der Hand. Ich habe keine fertigen Antworten. Doch ich beobachte Menschen. Ich sehe ihre Lebenssituationen, dass manche von ihnen gerne eine Antwort von der Kirche hätten, wir aber leider keine geben. Und ich stelle mir in den vergangenen Jahren viele Fragen selber, auf die ich keine Antworten habe, von denen ich aber meine, dass sie wesentlich sind. Vermutlich denken einige ganz anders und sagen: wieder so ein abgefallener Priester. Ich weiß aber um viele Menschen, die manche dieser Fragen mit mir teilen. Menschen, die der Kirche nicht schaden möchten, sondern die wie ich Kirche als hilfreich erfahren haben, die in der Kirche ein Stück von Gottes Nähe gespürt haben. Menschen, die darunter leiden, dass es sich Kirche manchmal bequem macht und die ungeliebten Fragen einfach ausblendet oder mal eben wegargumentiert. Was sind einige dieser Fragen und Gedanken, die mich beschäftigen?
Wie viele Priester haben in den vergangenen Jahren vorzeitig ihren Beruf aufgegeben und sind in Ruhestand gegangen? Aus unterschiedlichen Gründen. Manche, weil sie krank sind, einige, weil sie ausgebrannt sind und nicht mehr können. Wieder andere, weil sie für diese großen Seelsorgebereiche keine Kraft haben und die vielen Anliegen, die da an ihnen ziehen. Sogar junge Geistliche haben den Dienst beendet oder sich beurlauben lassen, weil sie auf diese Weise nicht wirken können. Wir tun doch gut daran, über sie nicht zu urteilen. Sie alle sind angetreten mit einem tiefen Glauben, mit Idealen und Hoffnungen und waren engagierte Seelsorger. Gibt es einen Zusammenhang zwischen ihrem Ausscheiden und der Situation unserer Kirche? Und wenn es einen gibt, will man den hören?
Wie viele Priester habe ich schon erlebt, die mit besten Absichten angetreten sind und dann am Zölibat zerbrochen sind, ich will bewusst nicht gescheitert nennen. Weil sie sich verliebt haben und das nicht heimlich leben wollten. Warum finden wir für solche Priester, die oft hervorragende Seelsorger waren, als Kirche keine Möglichkeit, sie in irgendeinem anderen Feld der Seelsorge weiter zu beschäftigen? Warum lassen wir sie fallen? Warum kann es nicht beides geben, unverheiratete und verheiratete Priester, wie auch in anderen Konfessionen?
Oder nehmen wir unsere Seelsorgebereiche, die ja immer größer werden, weil wir immer weniger Seelsorger sind. Auf dem Papier haben Priester da mit immer mehr Menschen zu tun. Gefühlt kommen sie mit immer mehr Menschen in immer mehr Situationen zusammen. Gleichzeitig aber zerren gleichzeitig immer mehr Aufgaben und Personen und Anliegen an ihnen, die gar nicht mehr zu bewältigen sind. Wie viele Priester sagen: dafür bin ich nicht angetreten. Mit Seelsorge und Begegnung hat das nicht mehr viel zu tun. Sie haben den ganzen Tag mit so vielen Menschen zu tun und doch sind sie nirgendwo richtig zu Hause. Ihnen fehlt die Beheimatung, Zeit für echte Freundschaften. Am Ende vereinsamen sie innerlich.
Menschen erleben die abgehetzten Seelsorger, die es allen recht machen wollen. Und beantworten Sie die folgende Frage gerne einmal für sich: würden Sie es einem ihrer Kinder oder Enkel gerade empfehlen, einen Beruf in der Kirche zu ergreifen? Wo sollen die Priester, Ordensleute, pastoralen Mitarbeiter/innen denn herkommen, wenn nicht aus Ihren Familien? Aber können Sie das gerade unter diesen Umständen? Sagen: überleg dir doch, einen Dienst in der Kirche zu übernehmen?
Warum tut sich Kirche schwer, neue Formen des Dienstes zu finden, und gerade auch in der Ämterfrage für Frauen?
Warum tut sich Kirche so schwer damit, Menschen, deren Leben nicht wie geplant verläuft, die von der kirchlichen Norm (ein schreckliches Wort) abweichen, einen Segen zuzusprechen: wiederverheirateten Geschiedenen, Paaren mit anderer geschlechtlicher Orientierung. Tun wir doch nicht so, als würden Hunderttausende vor unserer Kirchentür stehen und um diesen Segen bitten. Aber die, die darum bitten, die tun das doch aus tiefstem Herzen. Und es fällt mir schwer, ihnen nur irgendwo im Wohnzimmer zu Hause heimlich und mit schlechtem Gewissen einen Segen zusprechen zu dürfen und am Sonntag darauf die neuen Sanitäranlagen eines Sportvereins mit Blasmusik festlich zu segnen. Was läuft da eigentlich schief?
Warum tut sich Kirche schwer, Bewährtes zu erhalten und Neues zuzulassen? Warum fällt es schwer, die Macht, ich finde das Wort Verantwortung besser, auf mehrere Schultern zu verteilen?
Warum schafft es Kirche nicht, Heimlichkeiten zu beenden und konsequent im System die Dinge zu verändern, die so schreckliche Dinge bestmöglichst verhindern, wie wir sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erfahren haben?
Woher kommt diese spürbare Angst vor Veränderung? Warum traut man Gottes Geist nicht zu, dass er auch heute noch wirkt und auch Veränderungen nicht am Grund unseres Glaubens rütteln? Warum zeigt man diese Angst, wo man den Menschen doch eigentlich Mut und Vertrauen in die Zukunft geben möchte?
Ich könnte jede dieser Fragen und jeden Gedanken noch weiter ausführen und noch mehr dazulegen. Es geht mir nicht darum, Sie zu verunsichern. Und es geht mir auch nicht darum, zu schimpfen oder alles über Bord zu werfen. Mir sind diese Fragen wichtig, weil ich spüre, dass wir, wenn wir es uns weiterhin so bequem machen, wenn wir uns als Kirche zurücklehnen und sagen: das geht nicht, das ist halt so. Dass wir die Menschen dann um Gott und die frohe Botschaft bringen, die so viele heute gut brauchen könnten.
Gott hat es sich nicht bequem und schon gar nicht einfach gemacht. Er hat unser Leben und unsere Lebensrealität vor Augen. Machen auch wir es uns nicht bequem. Ringen und suchen wir mit den Menschen nach den Antworten auf die kleinen und großen Fragen ihres Lebens. Das ist nie einfach. Das kostet Kraft, Zeit und Mut und Vertrauen, dass ER in diesem Ringen mit dabei ist. Und ziehen wir innerlich und äußerlich nicht aus der Kirche aus. Weil wir diese Kirche noch immer wollen und brauchen, weil sie uns schon so oft vor Ort getragen hat und weil gerade die nicht gehen sollten, die sie lieben, mit ihren Traditionen, mit dem, was sie war und mit dem, was sie auch in Zukunft für die Menschen sein kann – wenn sie es denn will. Amen.