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Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!

Regenbogen
Datum:
Veröffentlicht: 7.10.21
Von:
Christoph Uttenreuther

Predigt von Dekan Christoph Uttenreuther zum 27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B)

Dekan und Pfarrer Christoph Uttenreuther über die Schöpfung, Gott, Mann und Frau, dass jede Liebe, auch gleichgeschlechtliche zu Gottes Schöpfung ist, und es an uns liegt, zu vergeben.

„Was geht wohl in diesem kleinen Köpfchen vor?“, frage ich mich, wenn ich ein Baby anschaue. Ich kann es mir nicht vorstellen. Was ich als Säugling dachte, weiß ich ja auch nicht mehr. Ein Baby hat noch kein Ich-Bewusstsein. Am Anfang fühlt sich das kleine Menschlein eins mit der Welt, unterscheidet nicht zwischen Ich und Nicht-Ich. Später erst setzt Differenzierung in der Wahrnehmung ein.

Ein Kind in glücklichen Umständen findet alles vor, was es zum Leben und Glück braucht. Es fühlt sich geborgen im warmen Bett, an der Brust der Mutter oder im Arm des Vaters. Es erforscht mehr und mehr sich selbst und alles um sich herum, unterscheidet und erkennt wieder. Es lernt sprechen und mit dem Sprechen, die Welt zu begreifen.

Am Ende der Kindheit merkt es, dass es zweierlei Menschen gibt: Der junge Mensch wird sich der Geschlechtlichkeit bewusst und reif und fühlt sexuelle Anziehungskraft und Liebe.

Ein Mythos, den der Mensch deutet: Gott und der Mensch

Warum erzähle ich das?

Wir haben die biblische Geschichte von der Erschaffung des Menschen und von Adam und Eva gehört. Sie widerspricht allem, was die Wissenschaft darüber sagt. Sie ist ein Mythos. Ein Mythos erzählt in Bildern, was der Mensch erlebt hat und deutet es.

Ich glaube, im Mythos von Adam und Eva spiegelt sich wider, was ich über die Entwicklung des Kindes erzählt habe. Wir haben es selbst erlebt:

  • Gott formt Adam aus Lehm und haucht ihm Atem ein: Wir fühlten uns eins mit der Welt und wurden uns unser bewusst.
  • Er setzt ihn ins Paradies: Wir waren (zumindest für Momente) glücklich und fanden die Welt vor, wie einen für uns gepflanzten Garten.
  • Adam benennt die Tiere: Wir bekommen die Welt durch Sprache in den Griff.
  • Erst dann schafft Gott aus Adam die Eva: Die Sexualität reift erst später und das Bewusstsein, dass wir alleine unvollständig sind. Wir finden am Gegenüber erst zur vollen Identität. Sicher nicht von ungefähr nimmt Gott kommt Eva aus der Rippe. Die Erzähler hatten wohl am menschlichen Skelett gesehen, dass wir unten nur halbe Rippen haben und das dort, wo der Unterleib beginnt.

Es mag nicht alles übertragbar sein. Die menschliche Entwicklung steckt nicht vollständig in der Geschichte. Und im Text steckt wohl mehr drin als sie. Aber ich glaube, der Text erschließt sich so. Und die naturwissenschaftlich falsche Reihenfolge gibt Sinn.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

In der Paradieserzählung spiegeln sich unsere Erinnerungen und Erfahrungen wider und werden im Glauben gedeutet:

  • Seinen letzten Ursprung hat mein Leben in Gott. Er hat mich gewollt.
  • Es ist gut, es ist ein Wunder, dass ich da bin.
  • Die Welt ist sein Geschenk an uns. Er will unser Glück und Heil.
  • Er hat die Geschlechter füreinander geschaffen. Sie ergänzen sich, nicht nur körperlich, sondern auch geistig.

Das ist gut so. Auch wenn wir wissen, wie die Geschichte weitergeht: Das Paradies geht verloren, in die Harmonie zwischen Gott und Mensch und zwischen Mann und Frau treten scharfe Dissonanzen auf. Trotzdem: Es ist gut so. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Aus Frau wird Mann, aus Mann wird Mann, aus Frau wird Frau?

Wenn wir die Geschichte so lesen und verstehen, wird klar: Sie ist aus dem Blickwinkel eines Jungen bzw. Mannes geschrieben. (Die Bibel ist über weite Strecken ein Männerbuch und steht in der Patriarchalen Tradition.)

Man könnte die Geschichte aber auch anders erzählen. Aus der Sicht der Frau. Dann würde Adam aus Evas Rippe geschaffen. Auch diese Variation ist legitim.

Aber was ist mit den Menschen, die nicht vom anderen Geschlecht angezogen sind, sondern vom eigenen? Wäre eine Variation denkbar, wo aus Adam ein Adam kommt und aus Eva eine Eva?

Sie wäre zumindest nicht so aussagekräftig, weil die Schöpfung dann nicht vollständig wäre und weil die Geschichte nicht nur vom individuellen Erleben erzählt, sondern von der gegenseitigen Bereicherung der Geschlechter weit darüber hinaus.

Gleichgeschlechtliche Liebe gehört zu Gottes Schöpfung!

Auf dem synodalen Weg haben wir darüber diskutiert, gestritten und schließlich abgestimmt, ob wir glauben, dass gleichgeschlechtliche Liebe zu Gottes guter Schöpfung gehört, spich ins Paradies. Wir haben mehrheitlich ja gesagt und uns dafür stark gemacht, auch homosexuelle Paare zu segnen.

Wir haben die Beziehungen ausdrücklich gutgeheißen, aber nicht mit dem Ehesakrament gleichgesetzt. Ich finde beides richtig. Auch wenn Zweiteres derzeit bei jungen Menschen schwer vermittelbar ist: Nur zwischen Mann und Frau ist ein Wunder möglich, das an Gottes Schöpfermacht teilnimmt. Wenn ich deswegen in dieser Beziehung etwas noch Wunderbareres sehe, diskriminiere ich andere deswegen nicht.

Jesus antwortet mit Gottes Liebe – Scheitern und Neuanfang eingeschlossen

Auf die Paradieseserzählung bezieht sich Jesus im heutigen Evangelium. Als die Pharisäer ihn fragen: „Ist es erlaubt seine Frau aus der Ehe zu entlassen?“, antwortet er nicht mit einem Ja oder Nein oder Kommt-drauf-an.

Er erinnert an die Regelung in der mosaischen Tradition: Unter Umständen erlaubt es die Ehescheidung. Doch das ist ein Zugeständnis an die Herzenshärte der Menschen. Der ursprüngliche Wille Gottes ist ein anderer.

Gott möchte, dass Paare ein Leben lang miteinander glücklich sind. Sie sind eins geworden. Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen. Wo er es tut, ist immer ein Bruch, ein Scheitern da.

Damit verbietet er meiner Meinung nach nicht, Menschen, die gescheitert sind, Vergebung und Neuanfang zu schenken. Wir dürfen deswegen nicht unbarmherzig sein. Aber wir sollen am Ideal und Ziel der lebenslangen Liebe und Treue festhalten.

Wir sind nicht mehr im Paradies und noch nicht im Reich Gottes. Aber der Traum vom Paradies und die Hoffnung auf das Reich Gottes stärken die Liebe und die Treue.

Die Welt ist nicht nur Paradies. Aber sie kann immer wieder dazu werden, wenn wir im Vertrauen auf Gott und in Dankbarkeit über die Wunder seiner Schöpfung der Liebe Raum geben.

Amen.

 

Manuskript zum eigenen Gebrauch. Es gilt das geschriebene Wort.