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Predigt zum Dreikönigstag

Dreikönig
Datum:
Veröffentlicht: 6.1.24
Von:
Markus Schürrer
von Pfarrer Markus Schürrer

Predigt im Rahmen des BR-Fernsehgottesdienstes von Pfarrer Markus Schürrer

„Die Unvollendete“ … - eine Symphonie, ein Werk, ein Stück … Musiker wie Bach, Bruckner, Mahler, Mozart, Schubert, alle haben sie Unvollendetes hinterlassen. Bei Malern ist es genauso, liebe Brüder und Schwestern: Viele Künstler sind gestorben, bevor sie ihr letztes Werk vollenden konnten. All diese unvollendeten Werke haben ihren besonderen Reiz. Zum einen, weil die Künstler oft bis zum buchstäblich letzten Atemzug über ihnen gesessen waren und man hinter ihrem letzten Werk eine Art Vermächtnis, ein Testament vermutet. Zum anderen zieht Unvollendetes immer auch in den Bann, ist spannend, weil es Raum lässt für Spekulationen und Fragen: Wie hätte das Werk sich angehört oder hätte es ausgesehen, wenn es vollendet worden wäre? Wie hätte es der Künstler haben wollen? Wie wäre das Werk beim Publikum angekommen?

Viele halten das Unvollendete in der Kunst nur schwer aus. Vielleicht, weil ein unfertiges Bild nicht ‚eindeutig‘ ist. Es lässt viele Fragen offen. Und oft bewegt dann nicht so sehr das, was man offensichtlich erkennen kann, sondern vielmehr das, was nicht oder eben noch nicht zu sehen oder zu hören ist.

Dieses Phänomen aus der Kunst, kenne ich auch im Bereich dessen, was ich glaube, woran ich mich halte, was mir Sinn gibt. Da spielen das Unvollendete, das Nicht-abgeschlossene, die offenen Fragen eine wichtige Rolle. Aber auch da fällt es schwer, das Unfertige und nicht Perfekte auszuhalten.

Für einen unabgeschlossenen Glauben, für Menschen, die in Glaubensfragen auf der Suche sind und noch keine endgültige Antwort gefunden haben, stehen die Sterndeuter aus dem Osten, wie sie uns heute im Evangelium begegnet sind. Menschen, aus einer fernen Kultur, mit Wurzeln, vermutlich mit einem eigenen, gewachsenen Glauben und auf jeden Fall von vornehmer Herkunft.

Es sind gescheite Leute. Sie kennen sich aus mit dem, was sich da oben am Himmel tut. Sie wissen, wie die Dinge auf der Erde so laufen. Sie haben einen angesehenen Beruf und eine gesicherte Existenz. Trotzdem lassen sie diese Sicherheiten los und brechen auf, um etwas zu suchen, was sie in ihrem Inneren als „unvollendet“ vernehmen. Sie spüren, dass ihrem Leben etwas fehlt, so wie es ist. Sie spüren, dass ihnen jemand fehlt, der ihr Leben reicher macht.

So brechen sie auf, nehmen den langen Weg auf sich und wissen ja im Grunde nur, dass sie einen neugeborenen König suchen sollen. Die Gefahren auf ihrem Weg können sie nicht bremsen. An Herodes vorbei folgen sie ihren Herzen, die von einem himmlischen Stern berührt werden. Sie suchen einen Ort, an dem sich Himmel und Erde kreuzen, einen Ort für ihren Glauben, einen Ort, an dem mehr Glück, Ruhe, Hoffnung, Leben … zu finden ist.

Wenn wir von heute aus auf das Geschehen von damals schauen, wie es uns der Evangelist Matthäus berichtet und wie die Frohe Botschaft mit den Sterndeutern Jahr für Jahr am Dreikönigstag erklingt, scheint die Sache damit abgeschlossen zu sein, dass sie auf den Gottessohn in der Krippe gestoßen sind. Nach dieser Begegnung kehren die Sterndeuter „heim in ihr Land“ … und zwar voller Freude.

Doch - wie ging es dann weiter? Das wissen wir nicht! Wir wissen nicht, ob ihr Glaube ihnen ein festes und unerschütterliches Vertrauen geschenkt hat. Oder ob ihr Glaube weiterhin „unvollendet“ blieb? Ob das Suchen blieb … als Grundhaltung im Wissen, dass der Glaube an Gott nie abgeschlossen ist, weil Gott selber so groß ist, dass man ihn nie ganz erfassen kann?

Der große Kirchenlehrer Gregor von Nyssa, der sich seine Gedanken dazu schon vor über 1600 Jahren gemacht hat, führte diese Fragen zu der Erkenntnis: „Gott finden ist ein immerwährendes Suchen.“

Das bedeutet: Immer dann, wenn ich meine, ich hätte Gott wieder ein Stück mehr verstanden, mehr begriffen, mehr entdeckt, spüre ich gleichzeitig, dass ich ihn nie vollkommen erfassen werde und ich mich wieder weiter auf die Suche begeben darf und muss: „Gott finden ist ein immerwährendes Suchen“.

Die Sterndeuter stehen für dieses Suchen und für das Unvollendete im Glauben. Ihre Erfahrung zeigt, dass ‚glauben‘ ein lebenslanger Prozess ist, Gott zu suchen und ihm auf die Spur zu kommen. Momente des Glücks, eine Ahnung von Gottes Nähe sind dabei kostbar … auch wenn sie unvollendet bleiben, unvollendete Kompositionen, unfertige Bilder.

Wer Gott sucht, kennt das: Dass ich ihn einmal verstehe und dann doch gleich wieder nicht, dass ich ihm vertraue und dann doch wieder schnell ins Zweifeln komme. Das sind ‚normale‘ Begleiterscheinungen einer lebendigen Gottsuche.

Und für mich ist das befreiend, wenn die biblischen Sterndeuter daran erinnern und ihre Abbilder, unsere Stersinger dafür bis heute auf den Straßen unserer Städte und Dörfer unterwegs sind. Da darf auch die Krone manchmal ein wenig schief sitzen und der Gesang da und dort noch etwas ‚unvollendet‘ sein.

Es ist normal, wenn mein Leben und Glauben unfertig bleiben. Wenn ich auf manches im Leben keine Antwort bekomme. Wenn mein Glaube eben nicht in jedem Lebensalter und in allen Lebenszeiten gleich stark ist. Und wenn ich nicht in allen Zeiten für alle alles sein kann. Es kann befreiend sein, wenn ich mir zugestehe, auch in Glaubensfragen auf der Suche zu bleiben. Es ist keine Schwäche oder Schande, wenn mein Glaube nicht so stark ist, wie ich ihn selber mir wünschen würde.

Ich bin immer skeptisch, wenn jemand meint, mir vorschreiben zu können, wie mein Glaube aussehen muss, wenn jemand ganz schnell eine Antwort ‚weiß‘, warum Gott was tut oder lässt. Wer schnell mit besserwisserischen Phrasen daherkommt und anderen in Krisenzeiten rät „Du musst einfach fester glauben!“, ist Gott oft ferner, als diejenigen, die gerade zweifeln.

Gott zu suchen und ein unvollendetes Leben zu führen, ist der Normalfall. Dies zu akzeptieren, ist eine Herausforderung. Dazu braucht es Mut und Kraft. Aber für diejenigen, denen es gelingt, dem Unvollendeten im Leben Raum zu geben, kann es faszinierend sein. Die unvollendete Melodie an der Krippe in Betlehem klingt weiter bis heute und ermutigt dazu, dranzubleiben, uns in aller Unvollkommenheit immer wieder auf die Suche nach dem Sinn des Lebens und nach Gott zu begeben. Amen.